Die große Testbatterie

Winteranfang ist Testzeit. Den ersten Test, die berühmt-berüchtgte KLD, habe ich mit einem gekonnt geplanten Trainingswochenende mit Fini in Brandenburg gerade so noch umschifft, dafür legen wir in der letzten Novemberwoche einen richtigen Analyse-Marathon hin.

Los geht es am Samstag in Ratzeburg: Hier steht Messboot auf dem Programm.
Anders als alle anderen Tests in den folgenden Tagen findet das aber nicht auf Aufforderung des Verbandes statt, sondern aus Eigeninitiative meines Trainers. Der will nämlich überprüfen, ob ich, seit ich im Sommer ein bisschen Viererfahren war, tatsächlich so geil rudern kann, oder ob er doch einen Knick in der Optik hat ;-)
Spaß beiseite: Wie schon bei meiner letzten Messboot-Session vor drei Jahren erklärt, handelt es sich bei dem Messboot nicht um einen ganz besonderen Kahn, sondern um alle mögliche Sensorik, die Messtechniker Mark in stundenlanger Bastelarbeit liebevoll in mein Boot geklebt hat. Die misst jetzt im Wesentlichen wie viel Kraft ich in Abhängigkeit des Winkels an der Dolle ans Blatt bekomme, und wie die Bootsgeschwindigkeit darauf reagiert. Mark und Markus fahren im Motorboot nebenher und können sich die Kurven live auf dem Laptop angucken. Ich bekomme sie später in der Auswertung präsentiert.
Fazit: Im Vorder- und Mittelzug operiere ich auf dem guten Niveau, das Markus meint, mit dem bloßen Auge erkannt zu haben, am Endzug muss ich aber noch arbeiten.

4 Tage später, gleicher Ort, anderes Testformat: Stufentest.
Nachdem mich mein Kollege Stefan ausführlich zu dem Thema interviewt hat und ich mich deswegen auch selbst ein bisschen aufschlauen musste, kann ich euch jetzt auch berichten, was da gemessen wird:
Und zwar fährt man im Stufentest, wie der Name schon andeutet, mehrere 4-minütige Stufen bei einer vorgegebenen Leistung. In den jeweils 30 Sekunden zwischen den Tests wird am Ohrläppchen ein bisschen Blut abgezapft und die darin enthaltene Laktatkonzentration gemessen. Über eine entsprechende Interpolation kann man dann ermitteln, wo beim jeweiligen Athleten die aerobe und die aerob-anaerobe-Schwelle liegt.
Die aerobe Schwelle bei einer Laktatkonzentration von ca. 2mmol/l bezeichnet den Leistungsbereich, in dem der Körper erstmals zusätzlich zum aeroben Stoffwechsel auch noch einen gewissen anaeroben Anteil "zuschaltet". Ab der aerob-anaeroben Schwelle bei 4mmol/l ist der anaerobe Anteil der Energiebereitstellung so hoch, dass der Körper das Laktat, welches als Nebenprodukt des anaeroben Stoffwechsels anfällt, nicht mehr so schnell abbauen kann, wie es nachgebildet wird. Die Muskulatur fängt in folge dessen an zu übersäuern und kann die Leistung deshalb nicht dauerhaft durchhalten.
Die beiden Schwellen werden einerseits als Messwert für die Fitness des Sportlers genutzt - je höher die Schwellen, desto besser die Ausdauer - andererseits dienen sie auch der Trainingssteuerung. Extensives Ausdauertraining zum Beispiel sollte immer unterhalb der 2mmol-Schwelle stattfinden.
Meiner Fitness scheint es schon mal gut zu gehen - zumindest ist meine 4mmol-Schwelle dort, wo sie auch während der letzten paar Tests lag, und die P2-Schwelle hat sich nochmal etwas nach oben hin verbessert.

3 Tage darauf: gleiches Gerät, anderer Ort, andere Aufgabe: 2000m Ergometertest in Dortmund. Meine absolute Hass-Disziplin. Als Top-Leichtgewicht sollte man unter 7:10min fahren. Mein persönlicher Bestwert liegt bei 7:15,3. Mit meiner Leistung liege ich bei den meisten Verbandstests im oberen Mittelfeld - U23 eingeschlossen.
Ich habe natürlich die ganze vergangene Woche ziemlich viel Ergofahren geübt. Läuft soweit ganz gut, zumindest über kürzere Strecken. Länger als ein paar Minuten bin ich auf den höheren Frequenzen aber nie gefahren. Mir steckt die lange Autofahrt noch in den Knochen, mein linkes Bein fühlt sich beim Warmfahren ein bisschen fest an. Andererseits gibt es wohl nie den Tag, an dem man sich vor dem Test in absolut unübertroffener Topform fühlt. Schon allein deswegen, weil man aufgrund der Nervosität jedes kleine Zwicken in Körper und jede nicht ganz so perfekte Bewegung viel intensiver wahrnimmt und interpretiert als an einem normalen Trainingstag.
In der Rennbesprechung waren wir uns uneinig: Markus meinte, ich soll mal so eine 7:18 anpeilen. Mir schwebte eher eine 7:16 vor. (Klingt wahrscheinlich jetzt erstmal wenig für euch... Um euch einen Anhaltswert zu geben: in den letzten 5 Jahren habe ich mich pro Jahr auf dem Ergo um ca. 2 Sekunden verbessert.) 
Also los: dieses Jahr habe ich leider nicht die Seite des Ergoraums mit Aussicht über den Kanal erwischt, sondern die mit Blick auf die Wand. Ist aber auch egal, nach den ersten paar Schlägen verengt sich die Wahrnehmung sowieso zunehmend. Dann ist da nur noch das Display, der Rhythmus des Schlages und das Brüllen meines Trainers. Ich konzentriere mich darauf, es "laufen zu lassen" und mich nicht aus dem Rhythmus bringen zu lassen. Mein Display zeigt fast durchgängig den selben Wert: 1:49min/ 500m. Ich bin gut unterwegs. Dank Start- und Endspurt steht am Ende eine neue persönliche Bestzeit: 7:14,8. Neben mir fällt Katrin vom Ergo, auch ich brauche eine ganze Weile, bis ich wieder aufstehen und zur Laktatabnahme laufen kann. Da sitzen wir dann zu acht im Stuhlkreis, knapp 10 Minuten lang und sind noch hauptsächlich mit Atmen beschäftigt.

Während ich mich warmgemacht habe, hat Markus meine neuen Skulls mit den Süderelbe-Farben beklebt. Um zu testen, ob es hält und um mich wieder ans Rudern im Boot zu gewöhnen, drehe ich Nachmittags noch eine lockere Runde im Einer.

Am Sonntag heißt es dann: Showdown. 6000m im Einer. 
Anders als viele andere Ruderer freue ich mich immer auf diesen Test. Langstrecke liegt mir mehr als die üblichen 2000m und ich genieße es, dass man aufgrund der Streckenlänge nicht die ganze Zeit auf Anschlag fahren kann, sondern dafür sorgen muss, das Boot mit wenig Aufwand schnell voran zu bringen.
Weil Anja Noske dieses Wochenende krank ist und unsere beiden Olympionikinnen von der Langstrecke freigestellt sind, darf ich als Erste fahren. Katrin folgt mit 45 Sekunden Abstand, dahinter kommt Österreichs Einerfahrerin Leonie Pless. Mein Ziel: schneller sein als Katrin und mindestens genauso schnell wie Leonie. Mein Start ist noch etwas holprig, aber ich finde immer besser ins Rennen und kann relativ mühelos (natürlich ist es anstrengend) meine Frequenz bei 32 Schlägen pro Minute halten. Hinter mir sehe ich, wie Leonie auf Katrin aufläuft, kann aber schlecht abschätzen, ob ich meinen Vorsprung ausgebaut habe oder nicht. Nach knapp 24:44 Minuten "erlöst" mich die Zielhupe. Ich paddle langsam weiter und warte, bis auch Katrin und Leonie durchs Ziel kommen. Der Kommentator bestätigt, was Markus schon vermutet hat: Ich war schneller! Auch die folgenden Boote können meine Zielzeit nicht toppen, so dass ich zum ersten Mal in meinem Leben die Langstrecke gewinne. Freut mich unwahrscheinlich. Noch mehr freut mich, dass wir wohl doch kein Messboot gebraucht hätten: Jeder Trainer, dem ich nach dem Rennen begegne, sagt mir das gleiche: "Sah verdammt gut aus, was du da machst."

Judith trainiert... den Widrigkeiten zum Trotz

Jeder Trainer hat sein Prinzip, sein Mantra, dass er seinen Sportlern weitergibt, und das man als Sportler so oft gehört hat, dass es einem eigentlich schon in Fleisch un Blut übergegangen sein sollte. Man braucht es dann nur noch umzusetzen. Ganz einfach.

Da ich inzwischen schon den zweiten langfristigen Heimtrainer habe, gibt es da natürlich auch zwei Ruderwahrheiten in meinem Kopf. Groß geworden bin ich mit:
Rudern muss Spaß machen.
Meinem ersten Trainer wäre es nie in den Sinn gekommen, mir vor einem Rennen viel Glück (wenn man das braucht, dann kann man es eh lassen) oder viel Erfolg zu wünschen. Ich bekam immer ein "viel Spaß" mit auf den Weg. Deshalb stehe ich noch heute breit grinsend auf dem Regattaplatz und freue mich darauf, dass ich gleich ein Rennen fahren darf.

Der zweite wichtige Satz in meiner Karriere ist:
Die erst Pflicht des Athleten ist, gesund zu bleiben.

Ich bin der festen Überzeugung, dass beide Sätze unglaublich wichtig sind. Würde es keinen Spaß machen, sollte ich es lassen. Wer krank ist - oder Gefahr läuft, krank zu werden, sollte nicht trainieren. Keine Goldmedaille der Welt ist es wert, seine (körperliche wie geistige) Gesundheit aufs Spiel zu setzen.

Und doch ist es manchmal unglaublich schwierig, diese Grundsätze einzuhalten.

Es gibt einfach diese Wochen, in denen alles drunter und drüber geht. Das Management hat gewechselt, ich habe es mal wieder geschafft, im ersten Kontakt einen positiven Eindruck zu hinterlassen und bin plötzlich mit ganz neuen Erwartungshaltungen konfrontiert. (Fragt mich nicht, wie ich das mal wieder hinbekommen habe. Bisher weiß er nur, was ich studiert habe und welche Themen ich bearbeite. Dass ich rudere, und was ich für meine Zukunft plane weiß er noch gar nicht.) Nichts fällt mir schwerer, als Menschen, die ein positives Bild von mir haben, zu enttäuschen. Und plötzlich sitzt man dann mal eben 9 Stunden im Büro und bereitet ein Projektreview vor, dass man dann doch nicht halten darf. Jetzt, wo wir sowieso nicht mehr draußen trainieren können, ist es ja auch egal, wenn ich eine Stunde später trainieren gehe, oder?
Und dann stehe ich im Kraftraum und möchte eigentlich nur noch ins Bett. Und das nicht nur einmal.

Aber es geht nicht. Ich MUSS trainieren. Am ersten Advent ist Ergotest und Langstrecke und ich werde gut sein müssen. Nicht Judiths-Durchschnitt-gut sondern RICHTIG gut, denn nächstes Jahr werden wir wohl keinen A-Kader mehr haben und drei der vier B-Kader Plätze sind wohl schon an die 2 Olympionikinnen nebst Ersatzfrau vergeben. Wenn Leo oder Katrin oder jemand anderes einen guten Tag erwischt, könnte es das gewesen sein mit der Sportförderung für's nächste Jahr. Also ran an die Eisen.
Soviel zum Thema "Rudern macht Spaß."

Der zweite Satz ist ungleich schwieriger einzuhalten, insbesondere dann, wenn man das Gefühl hat, sowieso schon zu wenig zu trainieren.
Ruf' mal deinen Trainer an und sag: "Ich komm' heute nicht, ich kann die Augen kaum noch offen halten." Das kratzt ganz schön am persönlichen Stolz. Alle anderen schaffen es ja auch. Denkt man sich so. Und dann sitzt man in der Kinopremiere von "DIE NORM - ist dabei sein wirklich alles?" und stellt fest: ein Sportlerleben ist ein ständiger Drahtseilakt zwischen Wollen und Können. Nicht nur bei mir.

Am Freitag wollte ich dann auch mit dem Fahrrad zur Arbeit fahren. Habe es auch probiert und dann doch lieber sein lassen. War eher so Eislaufen auf 2 Rädern. Ich kann mich nicht daran erinnern, dass wir jemals einen so kalten November hatten. Obwohl ich zugeben muss dass Schnee auf grünen Laubbäumen ziemlich cool aussieht...
Was ist falsch auf diesem Foto? Genau, es ist November.
Die Langstrecke in Mölln (die wir zur Vorbereitung auf den Kadertest nutzen wollten) ist tatsächlich auch witterungsbedingt abgesagt worden. Trotzdem habe ich natürlich versucht, rudern zu gehen. War nicht auszuhalten gestern. (Nebel, -5°, Wind, lange Ruderklamotten + Schwimmweste). Selbst Markus' Katamaran weigerte sich, loszufahren.
Heute (-1°, Thermohose, Thermoshirt, Skisocken, Buff, Mütze, Einteiler, winddichtes Shirt, T-Shirt, Weste) ging es dann halbwegs. Um die ausgefallene Langstrecke zumindest etwas zu simulieren, bin ich gemeinsam mit den anderen Hamburger Sportlern 4km auf der Regattastrecke gefahren. War am Anfang ziemlich kabbelig, aber am Ende sorgte die Tatsache, dass ich den vor mir gestarteten 2er-ohne noch überholen konnte, für einen gewissen Motivationsschub... und da war er wieder, der Spaß an der Sache.

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