Schlammschlacht in Hamburg.

Erstaunlicherweise regnet es zu Wochenbeginn noch nicht. Nachdem ich nach einer gepflegten eineinhalb-Tage-Woche auf der Arbeit (Montag und Dienstagmorgen gingen für die letzten Fahrstunden und die Führerscheinprüfung drauf) am Mittwoch Nachmittag auf die Fähre steige, lacht noch die Sonne. Ein kräftiger Rückenwind schiebt mich auf meinem Fahrrad in Rekordzeit von den Landungsbrücken raus nach Allermöhe, wo Lena (die mysteriöse No.4 aus meinem letzten Post), Leo und Katrin schon auf mich warten. Wir machen uns sofort ans Aufriggern und drehen die ersten paar Kilometer über die Strecke. Es ist noch ein wenig ausbaufähig, aber das wird schon noch. Einen Tag haben wir ja noch, um uns wieder einzugrooven.
Den Donnerstag nutzen wir dann auch intensiv dazu, so dass sich Stromi sogar zu der Aussage hinreißen lässt, dass er die vordere Umkehr noch nie so gut bei uns gesehen hat.

Die Nacht auf Freitag schlafen wir trotzdem nicht besonders gut - ein heftiges Gewitter fegt über die Stadt, es blitzt ununterbrochen und der Wind pfeift um die Häuser. Als wir in Allermöhe ankommen, sehen wir überall demolierte Zelte. So richtig weg ist das Gewitter immer noch nicht, so dass wir uns dann anstatt Rudern zu gehen doch erstmal nur aufs Spinningrad setzen. Der Rhythmus der Gewitter wird dieses Wochenende den Zeitlplan der Jahrgangsmeisterschaften noch gehörig durcheineanderwirbeln.


Ralf hat uns nun offiziell nachgemeldet, so dass wir auch als Boot außer Konkurrenz in den Setzlisten auftauchen.
Es war eine Entscheidung der Chefetage des Ruderverbandes, dass wir hier antreten und schneller als der beste U23-Doppelvierer sein müssen um für die WM nominiert zu werden. Wir selbst finden es zwar nicht falsch, nochmal zwei Rennen zur Vorbereitung nutzen zu können. Ausgesucht haben wir uns das aber sicherlich nicht und eigentlich sind wir der Meinung, das wir diese Saison bis auf das unglückliche Ergebnis in Ratzeburg eigentlich auch alle vier gute Leistungen vorweisen können, die man mit etwas good will auch dazu heranziehen könnte, uns ohne extra Rennen zu nominieren.
Auf den Jahrgangsmeisterschaften werden wir auch nicht gerade mit offenen Armen empfangen. Die Schiedsrichter sind der Meinung, dass man uns mit Zeitrückstand starten lassen müsste. Der Unterschied zwischen den Weltbestzeiten im A- und U23-Doppelvierer beträgt knapp 14 Sekunden. Würden wir mit diesem Rückstand starten müssen, wären die anderen Boote, wenn wir starten, schon knappe 100m weit gefahren und wir würden somit Gefahr laufen, in der Welle des Schiedsrichterbootes loszufahren. Man einigt sich daher, uns im Bahnverteilungsrennen mit an den Start zu schicken und uns im Finale mit dem Rückstand starten zu lassen, den wir im Bahnverteilungsrennen als Vorsprung hatten. Die Taktik ist also klar: als erste ins Ziel kommen, aber nicht mit zu viel Vorsprung.
Auch auf Seiten der gegnerischen Mannschaften regt sich Widerstand gegen unsere Teilnahme. Letzten Endes sind das hier nun mal deutsche Meisterschaften und für viele der Mädels in den gegnerischen Booten somit der Saisonhöhepunkt. Insbesondere einer der Trainer sieht es als Entwertung der Meisterschaft an, ein Boot außer Konkurrenz mitfahren zu lassen und kündigt an, Einspruch zu erheben.

Um die Pause zwischen dem morgendlichen Training und dem Bahnverteilungsrennen zu nutzen und etwas zu haben, worauf wir uns nach dem Finale - wie auch immer es ausgehen mag, unterschätzen sollten wir den U23-Vierer auch nicht - freuen können, backen Leo, Lena und ich erstmal Camembertmuffins und Erdnussbrownies. Kaum sind die aus dem Ofen, geht's wieder raus an die Strecke.


 Wir rudern noch eine kleine Runde, um das frisch reparierte Steuer zu testen und ein bisschen abzuschwitzen. Inzwischen knallt die Sonne so dermaßen runter, dass wir in 20 Minuten jede über ein halbes Kilo verlieren und mit reichlich Luft nach oben über die Waage kommen.

Das Bahnverteilungsrennnen läuft ziemlich planmäßig: Nachdem wir uns eine ganze Weile mit dem schnellesten U23-Vierer gematcht haben, können wir gegen Ende des Rennens Druck rausnehmen und kommen mit etwas über zwei Sekunden Vorsprung ins Ziel. Unsere Trainer hätten gerne weniger gehabt, aber mir hat einfach der Mut gefehlt, das Signal zum Lockerlassen zu geben, so lange das U23-Boot noch an unserem Heck klebte.

Über Nacht  und im Laufe des Samstages regnet es munter weiter, so dass sich die Wiesen um die Regattastrecke in eine einzige Schlammsuhle verwandeln. Wer keine Gummistiefel hat, leidet.

Keine zehn Minuten vor unsrer Waagezeit kommt dann auch die nächste Gewitterzelle um die Ecke, so dass die Rennen - und damit auch die Waage - nochmals um 20 Minuten verschoben werden müssen. Wir sind die einzige Mannschaft, die noch verwogen werden muss.

Auch organisatorisch hat es noch heftig gerumpelt: zunächst einmal haben sich die Schiedsrichter darüber beschwert, dass wir das Bahnverteilungsrennen nicht voll zu Ende gefahren sind (ganz ehrlich: selbst wenn es nicht um Zeitstrafen, sondern nur um die vermeintlich beste Bahn geht: wer macht das denn?) und wollten unseren Rückstand nun doch nochmal anders festlegen. Dann ist aber dem Einspruch des anderen Trainers stattgegeben worden und wir dürfen nicht im selben Rennen wie die anderen Vierer starten, sondern werden stattdessen einige Minuten später gegen die Uhr fahren.

Wir haben das Gefühl, dass von allen Seiten Prinzipienpolitik zu unseren Lasten betrieben wird, beschließen aber, uns davon nicht unsere gute Laune und unseren Kampfgeist nehmen zu lassen.
Immerhin dürfen Ralf und Cheftrainer Marcus nebenherfahren und sich angucken, was wir da machen. Wir starten auf der Mittelbahn, sie fahren mit ihrem Katamaran ganz außen an der Regattastrecke entlang, außer Hörweite. Näher werden wir dem Cheftrainer dieses Wochenende nicht kommen.

Der Seitenwind am Start ist so stark, dass Leonie mir helfen muss, das Boot auszurichten, weil ich es selbst nicht rumgezogen bekomme.
Achtung! Los!
Wir starten hochkonzentriert und mit der nötigen Ruhe im Endzug. Der Rest des Rennens gegen die Uhr wird ein Höllenritt. Wir fahren gut zusammen und bekommen insbesondere auf der ersten Streckenhälfte auch die vordere Umkehr ganz gut hin. Aber es ist so anstrengend, dass ich nach 500 Metern kaum noch weiß, woher ich die Luft für die Ansagen hernehmen soll. Hätten wir Gegner gehabt, wäre vielleicht der Mut dagewesen, zwei Prozent weniger zu investieren um sich die Luft zu verschaffen, etwas besser am Bootsdurchlauf zu arbeiten. Beim Zeitfahren trauen wir uns das nicht. Zu groß ist die Angst, durch das etwas weniger Aufwand die entscheidenden Sekunden zu verlieren.

An Land verkündet uns Ralf die erlösende Nachricht: Wir waren schneller als der U23-Vierer und sind nominiert. Bei mir macht sich Erleichterung breit. Zunächst bin ich einfach nur froh, dass es endlich vorbei ist. Ich bin so ausgepowert, dass ich noch meterweit neben mir stehe und bin wohl im Kopf auch einfach gerade nicht so weit, mich einfach darüber zu freuen, dass ich zur WM fahren darf. Dazu war es einfach alles zu zermürbend. Freuen kann ich mich aber über ganz andere Dinge: unserer Brownies sind echt lecker geworden und nach der Schlammschlacht gibt es auch nichts schöneres, als in die warme, duftende Badewanne zu steigen.

Endlich nominiert: Der LW4x für die WM von Bug (links) nach Heck: Ich, Leonie Pieper, Lena Reuß, Katrin Thoma (Foto: Ralf Hollmann)

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