Judith Löwenherz

 English text below

Es gibt keine offizielle Einladung, kein Hotel ist gebucht und jede hat zu einem anderen Zeitpunkt erfahren, dass wir Schnittgewicht wiegen müssen. Katrin am Mittwochmorgen mir. Da fehlten ihr noch ungefähr zwei Kilo.

Nun sitze ich also im Zug in Richtung Köln und kämpfe an jedem Bahnhof gegen die Versuchung an, einfach auszusteigen und wieder zurück nach Hause zu fahren. Ich war arbeiten, hatte Fahrschule (nicht, dass ich mich auf eines von beiden gut hätte konzentrieren können) und habe hastig meine Tasche gepackt (später werde ich feststellen, dass ich weder Shampoo noch Handcreme dabeihabe). Jetzt sitze ich im verspäteten Intercity und fühle mich, als wäre ich unterwegs zu einer Beerdigung. Etwas in der Art erwarte ich tatsächlich: eine Veranstaltung, bei der man sich permanent beschissen fühlt, wo man aber anschließend das Gefühl hat, dass es gut gewesen ist, dagewesen zu sein. Weil man die Möglichkeit hatte, loszulassen.

Katrin und Ralf holen mich mitten in der Nacht an der S-Bahn irgendwo im nirgendwo ab. Zum ersten Mal habe ich das Gefühl, dass es vielleicht doch ganz gut war, herzukommen.

Am Donnerstagmorgen fahren wir das erste mal zur Strecke. Anja und Lena sind dort, von Marie und Fini liegt nur das Boot da. Die Sonne scheint, es ist warm. Wir fahren eine kurze Einheit, das Boot läuft. Es macht Spaß mit Katrin zu rudern. Fühlt sich besser an, als zu Hause zu sitzen. Nur meine Beine sind etwas fest.

So vergehen zwei Tage: Kurze Rudereinheiten, rumhängen im Landhotel, wenig essen. Ich bin müde, seelisch wie körperlich. Meine Haut ist trocken, meine Beine fühlen sich steif an.

Am Samstagmorgen (kein Frühstück, nicht mal Kaffee) fehlen uns noch ein paar Gramm. Katrin zieht sich dick an und geht Joggen, ich mache zumindest einen flotten Spaziergang. Waage: Katrin: 57,4. Ich: 56,5. Wenigstens das haben wir geschafft.

Ralf macht mit uns die Rennbesprechung. "Ihr müsst offensiv fahren, Mädels." Anja und Lena sollen wir versuchen anzugreifen, Fini und Marie werden wir wohl nicht überholen können.

Draußen begrüßen wir meine Eltern, die extra aus Tübingen angereist sind, um uns anzufeuern.

"Quickstart. Attention. Go!". Nach sechs Schlägen schaue ich auf die Schlagzahluhr. Frequenz 46. Wir leigen gleichauf mit Anja und Lena. So ganz synchron läuft es nicht, ich bin ziemlich am ackern. Meine Beine tun von Schlag zu Schlag mehr weh. "Spurt!" schreit Katrin wieder und wieder. Irgendwo in den dritten 500m gelingt es uns, uns von den beiden abzusetzen. Ich weiß nicht wie. Ich ziehe, halte die Frequenz hoch, ignoriere die Schmerzen. Höre sie schreien. Ralf, Katrin, war das Caro?

"Durch!" mit eine knappen Länge nach vorn und hinten passieren wir die Ziellinie. Schmerzen. Beine, Lunge, Kopf.Es erstaunt mich, wie viele bekannte Gesichter uns vom Streckenrand her entgegenlächeln. Schön war's nicht, aber das Ergebnis war gut, werde ich später sagen. Es war ein Rennen nur fürs eigene Ego. An der Tatsache, dass wir nicht zu Olympia fahren werden, kann es wohl nichts ändern.

Ich verabschiede mich von allen, wünsche Marie und Fini Erfolg auf der EM. "Mach's gut, Judith Löwenherz." Sagt Herti zum Abschied. Dann steige ich zu meinen Eltern ins Auto. Wir fahren erst nach Krefeld zu meiner Großtante, abends dann zu meiner Tante nach Kamp-Lintfort. Auch mein Onkel kommt vorbei. Wir sitzen um Grillfeuer und reden. Ich bekomme Abstand, kann loslassen und freue mich darüber, Zeit mit meiner Familie verbringen zu dürfen. Luftholen für neue Träume.

Letting go a dream

The german championship went well. It might look like the same neither extremely good nor bad fifth rank from last year, but I was lengths ahead of Lena in the semi, and have never been so close to Marie and Anja ever before. Fini has developped, and Lena Reuß came up out of nowhere, just like Fini did last year.

We had been told that all six finalistst would be invited for double selection and somehow everyone would have expected that we were going to have several races in varying combinations. On Tuesday however, Markus told me that this would not be the case. There would be one single race. Marie/Fini vs. Anja/Lena (Reuß) vs. Katrin/me. He had been told I should reconsider taking part in that race. I had four hours left to decide and could not get Katrin on the phone.

During winter, I did anticipate in a way that out of the four of us I would be the one most likely not to be selected for the olympic squad. Still, the way final selection was about to be performed made me feel that however I would decide, I would hardly be able to pass with my head held high. Whilst in other areas of the squad (such as the male sweep rowers), a squad was built based on the responsable coaches' perceptions, partly neglecting trial results and without any further selection races, for the lightweight women the boat was formed strictly accorind to the trials. Still, there would be a selection race were everybody would expect me and Katrin to loose.

So what should I do? Starting felt like being exposed, not starting felt like shirking. I guess Iwould have felt better if they hadn't invited me for the race. In the end, I decided not to surrender without a fight. Still what I felt was being to proud to stay lying on the ground, but to weak to stand up and struggle on.

Organization was chaotic. Everything based on phona calls between the coaches. Everybody new at a different point in time that we would need to pass the scale with average weight. Journey and accomodation had to be organized and paid by our clubs.

In the end, I found myself sitting in the train to Cologne, feeling as if I was on the way to a funeral.

We had two days for a little training, with very little eating - we both needed to loose almost 2kgs within half a week. All these circumstances made me feel weak, both physically and mentally. At least rowing with Katrin was - like almost always - fun. I started to feel it was the right decision to be there.

For the race on Saturday, my parents had come to watch, and some friends from Cologne were also there. I cannot remenber when I had such a hard race last time - right from the start, my body was acheing. We did not row as beautiful and synchronised as we did several times before, but at least we were some seconds faster than Anja und Lena.

Still, I'm out of consideration for the olympic squad, not even for the spare position. However, having passed a day with my family, I can release now. I have tried everything I could. Evidently, I was not meant to be on this years olympic games. But for sure you're going to see me on the world rowing championships.

Die Wahl der Qual. Oder: Träume beerdigen.

Ich bin stolz auf mich. 20 Minuten nicht geheult. Und dann treibt mir ausgerechnet Oasis wieder Tränen in die Augen.


Today is gonna be the day
That they're gonna throw it back to you
By now you should've somehow
Realized what you gotta do.


Die Kleinbootmeisterschaften sind gut gelaufen. Nominell mag es nach dem selben nicht extrem guten, aber auch nicht schlechten 5. Platz von letztem Jahr aussehen. Was die nackte Zahl nicht verrät: ich habe mich selbst übertroffen. Ich habe Lena mit mehreren Längen Vorsprung ins B-Finale geschickt. Ich bin im Finale A bis zur 1500m-Marke mitgefahren um Platz 3. Noch nie war der Abstand nach vorne, zu Marie und Anja, so klein. Lena Reuß, frisch aus dem Juniorinnenbereich hatte sich noch zwischen Anja und mich geschoben, so wie Fini letztes Jahr. Ich gönne es ihr. Wenn sie schneller ist,  dann ist das wohl so. Reife Leistung.


Im Vorfeld war bekannt gegeben worden, dass alle 6 Finalistinnen zur Zweierselektion eingeladen werden. Am Finaltag war zu hören, dass man sich überlege, Katrin, die als sechste mit deutlichem Rückstand ins Ziel gekommen war, nicht einzuladen.


Die Anreise zur Selektion sollte am Mittwoch Nachmittag erfolgen. Dienstag mittag dann der Anruf von Markus. Alle sechs Finalistinnen werden eingeladen. Es wird nur ein Rennen geben, und zwar in den Besetzungen Marie/Fini - Anja/Lena (Reuß) - Katrin/ich.

Man habe Verständnis dafür geäussert, sollten Katrin und ich nicht antreten wollen.

Ich habe vier Stunden Zeit, mich zu entscheiden. Bei Katrin geht nur die Mailbox ans Telefon.


Backbeat the word was on the street
That the fire in your heart is out
I'm sure you've heard it all before
But you never really had a doubt


Letzten Endes war mir immer bewusst, dass ich aus dem Viererkreis, der in den Trainingslagern war, diejenige mit den schlechtesten Chancen auf eine Olympiateilnahme bin. Dennoch hatte ich auf die Möglichkeit gehofft, dass es Seatraces gibt mit den Kombinationen, die im Winter gut funktioniert haben. Fini und ich waren gemeinsam etwa gleichschnell wie Anja und Marie. Es hätte mich ehrlich interessiert, ob und wie viel Marie und Fini gemeinsam schneller sind. Bei etwas derartigem rauszufliegen muss einem letzlich auch nicht peinlich sein.


Aber ein einziges Rennen, eine eingefahrene, schnelle Kombination gegen zwei schnell zusammengesetzte, nominell schlechtere? Katrins Trainer konnte dafür nur das Wort "Himmelfahrtskommando" finden.


And all the roads we have to walk are winding
And all the lights that lead us there are blinding.


Also einfach nicht antreten? Mich kampflos ergeben?


Zwei Optionen, die sich beide nach Kapitulation anfühlen. Egal für was wir uns entscheiden: es wird schwer sein, erhobenen Hauptes das Feld zu räumen. Entweder, ich war feige und habe mich nicht der Situation gestellt, oder ich muss in einem Rennen antretenen, das ich von vorneherein nicht werde gewinnen können um dem DRV ein Argument zu liefern, weshalb Fini und Marie bestimmt den allerschnellsten möglichen Doppelzweier bilden. Wir können in diesem Rennen bestenfalls besser als erwartet sein.


Letzten Endes haben wir uns jetzt dazu entschieden, anzutreten. Ich weiß nicht, ob das eine gute Entscheidung war.


Ich bin zu stolz, liegen zu bleiben, fühle mich aber zu schwach um aufzustehen.


Today was gonna be the day
But they'll never throw it back to you
By now you should've somehow
Realized what you're not to do.


Willkommen (zurück) in meinem Leben

Endlich wieder arbeiten. Es mag komisch klingen, aber nach 4 Monaten rudern, essen, schlafen (und Autofahren) konnte ich es kaum abwarten.



Ich startete ganz gemütlich mit einem Freitag Vormittag:
  1. Mitten in der Nacht aufstehen und rauf aufs Rad. 
  2. Hallo, Kollegen! 
  3. Wie war noch gleich mein Passwort? 
  4. 300 Emails löschen 
  5. Wir sind schon wieder umorganisiert worden, plötzlich sind wir so viele Leute in der Abteilung, dass wir am Frühstückstisch zusammenrücken müssen… 
  6. Uuund… 13:00 schon Feierabend… ich muss los, das Rudererleben ruft: dieses Wochenende ist Langstrecke in Leipzig. 
Natürlich war nicht nur Langstrecke angesagt, sondern am Samstag erstmal der 2000m Ergotest. Mein Traum wäre eine 7:10 gewesen, 7:12 hätte ich für möglich gehalten. Geworden ist es leider eine 7:16,3 -Immerhin schneller als in Dortmund, völlig okay. Aber ich hätte sie ja doch lieber alle beeindruckt…
Im Nachhinein sehe ich den Ergotest nicht mehr so kritisch - es sollte ja noch schlimmer kommen.
VOR dem Ergotest war die Stimmung noch ganz gut...

Der Sonntag begrüßte uns mit strahlendem Sonnenschein und leichtem Gegenwind - das machte mir richtig Lust aufs Rennen. Leider hatte ich durch die Krankheit und damit verbundene späte Anreise nach Sevilla wenig Gelegenheit gehabt, hohe Frequenzen zu üben. Das machte sich gleich am Start bemerkbar; ich kam einfach nicht so richtig in die Gänge und Lena, die hinter mir startete, konnte gleich ein ganzes Stück ranfahren. Unter Markus anfeuerungsrufen gelang es mir dann doch nach einiger Zeit in einen halbwegs passablen Streckenschlag zu finden. Bei etwa 2000m hörte ich dann plötzlich statt des üblichen Texts (Frequenz liegt bei 29, flüssig rum vorne, nur der Körper schwingt, …) nur noch ein uarggg…. Schepper! Und sah meinen Trainer im hohen Bogen vom Rad fallen. Trotz des Schrecks hieß es nun natürlich: weiterrudern. Ich war erleichtert, ihn wieder aufstehen zu sehen, aber irgendwie sah das seltsam aus, wie er da wieder losradelte… und so richtig kam er auch nicht hinterher. Irgendwann musste er abreißen lassen und ich war ganz auf mich allein gestellt mit der Aufgabe, mir nicht zu viele Sorgen um meinen Trainer zu machen (Stichwort: denk nicht an den Rosa Elefanten) und die Schlagzahl irgendwie oben zu behalten (und das ohne Schlagzahluhr). Zum Glück hatte ich auf den letzten 2km dann doch wieder Begleitung… Ich kannte zwar die Stimme nicht, aber immerhin hatte ich wieder etwas Orientierung. Zu guter Letzt beging ich dann noch den allergrößten Anfängerfehler und hörte ein paar Meter vor der Ziellinie auf zu rudern. Das Ergebnis war dann leider Platz 6, 10 Sekunden hinter Lena, die sich als Dritte gleich hinter Marie und Fini einsortierte.
Das war wohl nix… was war ich unzufrieden.

Jasper erging es noch schlechter als mir - ein gewisses Schalentier brachte ihn zum Kentern, aber immerhin konnte er wieder einsteigen und das Rennen noch zu Ende fahren.
Langstrecke: 6 Kilometer Quälerei und dann noch nicht mal schnell (Foto: Peter Adams/ Rudern.de)

Im Laufe der folgenden Woche begann mir dann zu dämmern, warum mir immer alle erzählt haben, dass Leistungssport und Arbeit zusammen gar nicht funktionieren können. Bisher hatte ich mir da immer wenig Gedanken drüber gemacht - ich kannte es ja nicht anders. Nach vier Monaten Arbeitspause merkt man dann erstmal, wie anstrengend das wirklich ist. Zusätzlich kam dann noch dazu, dass wir in Allermöhe trainiert haben und ich entsprechend viel Fahrerei zusätzlich hatte.

In Allermöhe fand dann letztes Wochenende auch der Hamburg- interne Test der Junioren statt. Im Zuge dessen konnte ich am Samstag auch noch zweimal 2000m unter Rennbedingungen testen. Es lief… auch nicht viel besser als in Leipzig. Fühlte sich alles noch sehr fest und schwergängig an. Vielleicht fehlte immer noch die Übung? Und das eine Woche vor den Kleinbootmeisterschaften :(

Am Sonntag stand dann nur eine, dafür etwas längere Einheit auf dem Plan: die Boote mussten von Allermöhe zurück an die Süderelbe und das erledigten wir ganz einfach auf dem Wasserweg. Ich hatte ausgeschlafen, mich warm angezogen und das Wetter war auch ganz passabel. Einfach mal nur rudern, was gibt es schöneres? Also rein ins Boot, ab zur Schleuse, die Norderelbe flussabwärts und dann abbiegen in Richtung Veddel. Und siehe da plötzlich stellte sich auch wieder ein entspannter, Kraftvoller Schlag ein! Vorbei am IBA-Dock ging's endlich wieder zurück in heimische Gewässer, in den Reiherstieg, wo mir die Besatzung der Boavista fröhlich zuwinkte. Endlich wieder zu Hause.

Ans Arbeiten hab' ich mich so langsam auch wieder gewöhnt, das Boot ist grundgereinigt und poliert, und gleich geht's los nach Köln. Wird schon.

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