Life is a rollercoaster

Die Achterbahnbeschreibungen stammen von http://coastersandmore.de/rides/rides.php

"Nach dem fulminanten Beginn folgt ein gestreckter Camelback, der über eine weite Linskurve durch das Zentrum des Vertikalloopings führt. Der Zug absolviert diesen Abschnitt mit geringen Tempo, gewinnt danach aber sofort wieder an Geschwindigkeit. "

Nach Lanzarote geht es nahezu übergangslos weiter mit Trainingswochenenden in Berlin. Zu meiner großen Freude (Ironie an) geht das erste von Mittwoch bis Samstag Mittag. Dabei kann ich jede Minute auf der Arbeit brauchen - die Projekte werden nicht einfacher und meine geplante 4-monatige Auszeit kommt unaufhaltsam näher…
Auf dem Wochenende sind wir vier Sportlerinnen: Marie, Fini, Anja und ich. Wir probieren jede mögliche Zweierkombination mal aus und setzen uns zum krönenden Abschluss nochmal alle zusammen in den Doppelvierer.

"Alle 15 bis 20 Sekunden reisst eine Blockbremse die Mitfahrer kurzerhand auf den Boden der Tatsachen zurück. Der Zug passiert dann mit geringer Geschwindigkeit die knapp 15 Meter langen, leicht abfallenden Bremsplateaus. Eine Massnahme, die sich negativ auf das Fahrvergnügen auswirkt."

Nicht so krönend ist allerdings mein Ergometer-Stufentest - meine P4-Schwelle ist in der selben Größenordnung, wo vorher meine P2-Schwelle lag. Ich kann mir das nicht erklären und mache mir ein bisschen Sorgen, ob ich wohl zu viel, zu wenig oder einfach das Falsche trainiert habe.

"Leichte Ruckler sind bei 3g Anpressdruck vereinzelt zu spüren, da die Federung am Limit zu arbeiten scheint. "

Beim zweiten Wochenende sind wir dann zu sechst:
Fini, Leo, Lena, Anja, ich und, weil Marie krank ist, auch Katrin. Wieder wird lustig hin- und hergetauscht, so dass ich mit allen mal im Boot sitze. Obwohl wir rein vom Umfang her gar nicht so viel machen ist das ganz schön anstrengend. Jede Einheit ein neuer Ruderstil, an den ich mich anpassen muss. Dass ich die letzten Wochen ziemlich viel gearbeitet habe, macht's auch nicht wirklich besser. Vor dem Wochenende habe ich nachgezählt: mit bleiben noch genau 12 Tage zu arbeiten, bevor ich mich ins Sabbatical verabschiede. Meine ToDo-Liste zeigt sich davon reichlich unbeeindruckt und wächst einfach munter weiter… Dann nach drei Einheiten Rudern einen Nachmittag rumhängen ist absolut tödlich - mein Körper fährt erstmal richtig runter, so dass ich am zweiten Tag völlig erschöpft, verspannt und mit Kopfweh ins Boot steige. Wäre ja alles nicht so schlimm, wenn ich nur im Einer vor mich hin rudern könnte, aber im Zweier unter Beobachtung zu stehen und zu wissen, dass man gerade einfach nicht so rudert, wie man das normal könnte, ist echt nicht angenehm. Na ja, muss man durch.

"Der Zug schießt aus der engen Linkskurve kommend wieder dem Boden zu."

Ich war mir wohl zu sicher - jedenfalls haut mich die Mail mit den Nominierungskriterien ziemlich aus der Kurve. Für die Trainingslager im Winter werden vier Athletinnen mitgenommen. Drei der Plätze sind schon fest an Marie, Fini und Anja vergeben. Ich muss mich mit Lena, Katrin und Leonie um den Vierten streiten. Um mitzukommen muss auf dem Ergo mindestens ein Wert von 7:18min gefahren werden - für die anderen drei überhaupt kein Thema, aber meine persönliche Bestmarke liegt bei 7:19,5, und wirklich viel bin ich in den letzten paar Wochen nicht Ergo gefahren. Sind die 7:18 erreicht, zählt dann die Leistung auf dem Wasser, also der 6000m-Test in Dortmund. Aber, wie die Trainer das so nett formulieren: "bei geringen Zeitdifferenzen Entscheidung des Cheftrainer M. Schwarzrock & Bereichstrainer S. Ueck"

Und plötzlich ist da wieder ein Haufen Panik im Spiel - dass ich die 7:18 so aus dem Stegreif fahre ist nicht sicher, und ob ich auf der Langstrecke schneller sein kann als Lena? Keine Ahnung, bisher war immer sie schneller als ich… Was mache ich dann blos mit den vier Monaten, die ich mir extra für die Trainingslager frei genommen habe? Wenn ich jetzt nicht mitkomme, war's das dann endgültig mit meinem Traum von Olympia? Haben die die 7:18 eigentlich festgelegt um mich zu ärgern, oder um mir eine Chance zu geben?

"Ein Wendemanöver um fast 180° bei gleichzeitigem Drop bis auf das Bodenniveau der Halle sorgen für einen kleinen Adrenalinkick, bis der Zug auf der nächsten Anhöhe auf Schritttempo herunterbremst und schließlich komplett zum Stehen kommt."

Bald ist mir klar: ich brauche einen Plan B - um dieses riesige, schwarze Loch zu füllen, dass sich da ab 1.Dezember auftut. Ich telefoniere mit meinen Freunden, schreibe ein Liste mit lauter Dingen, die ich schon immer mal machen wollte und stelle erstaunt fest: mir fällt ja doch noch eine Menge ein, wie ich die Zeit sinnvoll nutzen kann!
Challenge accepted. Ich verlasse die Schockstarre und begebe mich wieder in den Angriffsmodus.

"Die Beschleunigung ist identisch mit der des ersten Launches, das Gefühl aber ein völlig anderes."

Auch Markus hat auf die Ankündigung reagiert und stellt meinen Trainingsplan komplett um - Krafttraining lasse ich komplett sein, dafür setze ich mich 1-2 mal am Tag aufs Ergo, um ein kurzes, aber heftiges Programm zu fahren. Unglaublich aber wahr: die Programme sind kurzweilig und abwechslungsreich, so dass mir Ergofahren plötzlich sogar beinahe Spaß macht. Allerdings habe ich die ersten zwei Tage dann doch noch Probleme, dass Programm zu fahren - ein heftiger Westwind sorgt mal wieder für Land unter auf der Pionierinsel und außerdem dafür, dass ich einen Tag später auf dem Weg zur Arbeit heftig in die Pedale steigen muss. Auf dem Rückweg bin ich müde, meine Bremsen sind auch schon etwas runter - wen wundert's noch, dass ich an der Ampel unfreiwillig über den Lenker absteige…? Also muss diese Trainingseinheit auch ausfallen. Als die Bremsen repariert sind und das Wetter besser wird, klappt es dann aber doch ganz gut mit Ergofahren.

"Diese gewinnt stetig an Höhe und endet nach etwa 225 Winkelgraden in einer Blockbremse auf etwa 20 Metern Höhe. Diese gewährt den Mitfliegern eine kurze Verschnaufspause, dann folgt der zweite Streckenteil."

Trotz allem gibt es in der Woche vor Dortmund etwas zu feiern: ein Projekt, an dem ich mitgearbeitet habe, soll mit einem "Airbus Award for Excellence" ausgezeichnet werden. Dazu mache ich mich am Dienstag auf den Weg nach Toulouse und freue mich zunächst darüber, dass ich den Vormittag frei habe und mit bei meinem gefühlt 7. Toulouse-Besuch auch mal die Stadt anschauen kann - und das sogar im Tageslicht und ohne Regen!
Die Awards-Gala findet dann in der A380-Endlinie statt - inklusive leckerem Essen und spektakulärer Lightshow auf der Flugzeugnase.
Awards for excellence in Toulouse (Foto: Anna Klauser)

Am meisten beeindruckt mich aber der Co-Moderator Bertrand Piccard, der von seinen Weltumrundungen im Heißluftballon und im Solarflugzeug berichtet und darüber, wie er Herausforderungen mit seinem Team meistert. Dass er zum Beispiel eine ganz eigene Art hat, Menschen zu überzeugen: Bei jedem, der sich entscheiden muss, sagt er, gibt es zwei Stimmen im Kopf. Eine möchte ja sagen, die andere möchte nein sagen. Und wir werden den Menschen nicht dadurch überzeugen, dass wir versuchen, der Nein-Stimme zu widersprechen, sondern darüber, dass wir versuchen die Ja-Stimme in ihm zu bestärken. Das probier' ich bei Gelegenheit bestimmt mal aus.

Dann geht's auch schon los nach Dortmund. Steffi ist auch mit von der Partie, kann dann aber leider wegen einer Schleimbeutelentzündung im Ellbogen nicht an den Start gehen. Trotzdem entlastet mich ihre lockere Art und die moralische Unterstützung, die ich von ihr bekomme, sehr.

"Mit einer Querneigung von bis zu 75° schraubt sich der Zug in die Höhe."

Die Ergoprogramme haben ihre Wirkung gut entfaltet - die Vorbelastung lief gut, und in der Rennbesprechung muss ich Markus gestehen, dass ich vermutlich eine 7:16 probieren würde, wenn ich nicht die 7:18 sicher fahren müsste.
Ich komme gut konzentriert durch den Test, am Ende steht eine 7:16,5 auf dem Display. Die Pflicht ist also erfüllt.

Wie schon so oft stellen wir mal wieder fest, dass es wettertechnisch schlauer gewesen wäre, die Langstrecke am Samstag zu fahren - am Sonntag pfeift uns ein kräftiger Wind um die Ohren, zu allem Überfluss auch noch als Schiebewind am Start und als Gegenwind im hinteren Teil der Strecke. Ich darf vor Anja starten, so dass ich zumindest mal einen guten Geschwindigkeitsmesser habe - wenn sie nicht zu weit ranfährt, dann ist meine Geschwindigkeit erstmal nicht allzu langsam.
Ich komme ganz gut über die Strecke, fühle mich zwar nicht super stark, aber der Rhythmus funktioniert ganz gut. Am Ende bin ich nach dem, was Markus gestoppt hat, ein paar Sekunden vor Lena. Bis das offizielle Ergebnis da ist, bin ich allerdings schon geduscht und umgezogen und das Boot ist auch schon abgeriggert und eingepackt. Nervös sitze ich herum und warte auf Neuigkeiten.

"Die Stimmung erscheint derart bedrohlich, dass man im nächsten Augenblick befürchten muss, dass der Blitz den Wagen von der Strasse katapultiert."

Laut dem offiziellen Ergebnis war ich 5s schneller als Lena, die allerdings ihrerseits auf dem Ergo ungefähr 6s schneller war als ich. Der Cheftrainer verkriecht sich mit dem Ergebniszettel im Büro und telefoniert mit den zuständigen Bereichstrainern. Nach einer gefühlten Ewigkeit (schätze so 3-4 Minuten) kommt er raus, um mir viel Spaß im Trainingslager zu wünschen.

Ich kann mein Glück nicht fassen - was für ein seltsames Gefühl… da habe ich mich gerade damit arrangiert, dass es wahrscheinlich sowieso nicht klappt, und dann bin ich plötzlich doch dabei.

"Die Züge vollziehen förmlich Luftsprünge, bis eine weite Linkskurve in den letzten, bodennahen Umschwung und in eine über 180 Winkelgerade hinausgehende Kurvenwende führt, die abschließend den Zug in die Magnetbremsen entlässt."

Die beiden folgenden Tage fühle ich mich so energetisch wie ein Eichhörnchen auf LSD - am Montag nochmal eben 9h arbeiten, bis ich mir sicher bin, dass meine Kollegen dort, wo ich aufgehört habe, die nächsten 4 Monate gut weiterarbeiten können. Am Dienstag putzen, packen, Plätzchen backen… und dann klingelt das Telefon, als ich gerade mit beiden Händen tief im Zuckerguss stecke. Mein Chef. Tut ihm Leid, dass er mich gleich am ersten Tag meiner Auszeit stören muss. Die Personalabteilung hat sich gemeldet - ich kann nächstes Jahr für Trainingslager und Wettkämpfe bis zu 44 Tage bezahlt freigestellt werden. Ich freue mir ein Loch in den Bauch.

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