Judith trainiert... mit Schwimmweste


Knapp ein Jahr ist es jetzt her, dass der 13-jährige Lorenz in der Alster ertrunken ist, an einem warmen Frühjahrsmorgen und unter Trainingsbedingungen, die bis dato jeder Hamburger Trainer für vertretbar gehalten hätte.

Nicht-Ruderer haben mich bisweilen schon gefragt, ob wir im Winter eigentlich Neoprenanzüge tragen und was passiert, wenn ich mal reinfalle. Die erste Frage ist leicht zu beantworten: Nein. Dadrin kann man sich nämlich einfach nicht ausreichend bewegen.
Die zweite Frage brachte mich mitunter in Erklärungsnot. Die Gefahrenprävention im winterlichen Rudersport hatte sich bis dahin meist auf "einfach nicht reinfallen" beschränkt. Das hatte bei mir glücklicherweise immer recht gut geklappt, aber eigentlich wusste ich selber, dass das eine ziemlich dumme Antwort ist. Schon meine Kindertrainerin hatte mir erklärt, dass bei Minusgraden die Koordinationsfähigkeit leidet. Das bedeutet also Reinfallen im Winter ist nicht nur gefährlicher als im Sommer, sondern auch wahrscheinlicher. Dazu kommt, dass man die Überlebenschancen eines ohne Schwimmhilfe im Wasser Treibenden bei Wassertemperaturen unterhalb von 10° im einstelligen Minutenbereich angibt.
Die nächste Frage war dann natürlich immer "Kannst du keine Schwimmweste anziehen?". Jein. Grundsätzlich werden bei Rettungswesten Feststoffwesten und aufblasbare Westen unterschieden. Die feste Variante ist vom zuständigen Senator inzwischen für alle Schülerruderer vorgeschrieben worden. Zweifelsohne hat diese Westenvariante den Vorteil, dass sie auf jeden Fall funktioniert, weil kein Mechanismus dran ist der Versagen kann. Gleichzeitig hat sie aber auch den erheblichen Nachteil dass man sich darin so gut wie gar nicht bewegen kann, was beim Rudern natürlich tierisch ungeschickt ist.  Die zweite Art von Schwimmweste ist die aufblasbare Weste, wie man sie z.B. aus dem Flugzeug kennt. Der erhebliche Vorteil gegenüber der Feststoffweste ist, dass die nicht aufgeblasene Schwimmweste wenig Platz braucht und relativ flexibel ist.
Wer beim Sicherheitsbalett aufmerksam zugehört hat weiß aber auch, dass die aufblasbare Weste hintenrum nur mit einem Band verschlossen wird, und sich fast der gesamte Auftriebskörper vor dem Bauch befindet. Beim Skullen, also dem rudern mit zwei Rudern, gehört es aber zur dazu, mit den Griffen ein Stück weit am Oberkörper vorbeizuziehen. Wenn man dann eine Weste trägt, die nach hinten offen ist, hat man enorm gute Chancen sich mit den Skullgriffen in der Weste einzuhaken.  Klar, dass kein Ruderer freiwillig eine Weste tragen möchte, die das Risiko zu kentern noch weiter erhöht.

Der Ruderbekleidungshersteller Newwave hatte zum Glück die rettende Idee, eine aufblasbare Weste in ein geschlossenes Kleidungsstück zu integrieren. Jetzt hat man eine relativ kompakte Form, wo man sich nirgends einhaken kann. Am Anfang war die Weste trotz allem etwas gewöhnungsbedürftig: der Kragen sitzt relativ hoch, und jedes mal wenn ich mich umdrehe kratzt mich das Ventil am Hals. Außerdem haben luftdichte Konstruktionen nunmal den Nachteil, dass sie nicht atmungsaktiv sind. Das spart Drunterziehklamotten  - mit einem Langarmshirt und der Schwimmweste drüber ist man bei 5° immer noch recht warm angezogen. Und wenn man mehr drunter hat? Dann hat man ein Problem, denn ausziehen kann man die Weste unterwegs im Boot nicht. Als wir die Dinger neu hatten sind wir mit halb ausgezogenen Westen und gesenktem Kopf minutenlang durch die Wohnung geirrt, bis uns rettende Arme die Westen über die Schultern gekrempelt hatten. Inzwischen haben wir rausgefunden, dass man die Weste auch alleine ausbekommt, wenn man sie bis über die Brust hochkrempelt, bevor man sie übern Kopf zieht. Ich hoffe trotzdem, dass ich sie nie im aufgeblasenen Zustand ausziehen muss!

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